Hoch hinaus

Edita Gruberova erstmals in Europa als Bellinis Norma

Edita Gruberova sang die Norma ganz entspannt, mit ihrer Stimme. Sie dachte nicht im Entferntesten daran zu forcieren, ihrem an sich lyrischen Organ ein Klangvolumen abzuverlangen, das seine natürlichen Grenzen überschreiten könnte oder es dramatisch einzudunkeln. Dessen ungeachtet hatte ihr Sopran mehr als genügend Durchschlagskraft - wohlgemerkt für den außergewöhnlich großen Raum des Baden-Badener Festspielhauses -, und den dramatischen Gehalt beschwor sie durch Intensität der Diktion, der Farbgebung und Artikulation. In punkto expressiver Nachdruck blieb Edita Gruberova ihrer exorbitanten Partie nichts schuldig, da vermochte sie mit allen vokalen Schwergewichten mitzuhalten. Zumal im Schlussbild, in dem sie mit letzter, bedingungsloser Hingabe und Identifikation mit der überlebensgroßen, konfliktbeladenen Gestalt der unglücklichen gallischen Priesterin agierte und sich als große Tragödin profilierte. Angesichts dieser Wahrhaftigkeit und der Suggestivkraft ihres Vortrags konnte auch über einige Überakzentuierungen in Normas «Medea-Szene» hinweggehört werden, bei ihrem verzweifelten Ringen mit sich selbst, ob sie ihre und des treulosen Geliebten Kinder töten soll. Hier bediente sich nämlich die Künstlerin mitunter Bellinis Klassizismus fremder Stilmittel, die eigentlich schon dem Verismo angehören. Insgesamt war Edita Gruberovas Norma von einer subtilen lyrischen Aura umgeben und klanglich geprägt durch einen nach wie vor intakten, glockenklaren hellen Sopran, dessen beseeltes Timbre nichts von seiner reinen Tonschönheit eingebüßt hat. Keine Spur von Schärfen, schon gar nicht von dem für ältere Sänger charakteristischen breiten Vibrato. Ihre vokale Souveränität gestattete Edita Gruberova sogar den königlichen Luxus, die «Casta Diva» in der von Bellini ursprünglich vorgesehenen G-Dur-Tonart statt im gewohnten F-Dur zu singen. Die Transposition nahm der Komponist auf Wunsch der Norma der 1831-er Mailänder Uraufführung, der legendären Giuditta Pasta, vor. Dafür hatte die Diva freilich gute Gründe, denn in G-Dur ist die Tessitura des Gebets mörderisch hoch -, und Edita Gruberova kostete ihre Kraft-Demonstration auch einige Mühe. Überhaupt, bei aller Begeisterung muss doch zugegeben werden, dass die Sängerin die hohen Töne bei größeren Intervallsprüngen nicht mehr ohne Anstrengung ansetzt. An sich ist das nicht der Rede wert, bei einer anderen Sängerin bliebe es möglicherweise sogar unbemerkt. Und es wird auch gleich vergessen, wenn man an Edita Gruberovas herrlich ausgeglichene lange Legatolinien denkt, mit denen sie Bellinis «ewige Melodien» formt, an ihre ganz erlesenen Phrasierungskünste und die gestochene Klarheit ihrer geradezu akrobatischen Koloraturen, die sie als Belcantistin von höchstem Rang ausweisen.

Es gab aber noch eine weitere Sensation an diesem Abend: die Adalgisa der jungen Lettin Elina Garanca. Deren satte, füllige, sonore, legatofreudige in allen Registern ausgeglichene Mezzostimme ist ein Naturereignis - und wird zudem makellos geführt und eminent musikalisch eingesetzt, mit wachem Gespür für Detailfeinheiten.

Glänzend auch der Pollione des venezuelanischen Tenors Aquiles Machado, der mit hell strahlendem Timbre sang, mit Nachdruck, wo es darauf ankam, mit lyrischer Wärme und durchweg differenziert gestaltete. Seine Art hat etwas von Di Stefanos Schwung, womit sehr viel gesagt ist. Korrekt, aber ein wenig blass dagegen der Oroveso von Alastair Miles.

An der Spitze der konzentriert und gepflegt spielenden Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und mit dem Vokalensemble Rastatt und den Stuttgarter Choristen koordinierte Edita Gruberovas Ehemann Friedrich Haider die musikalischen Abläufe überlegen, modellierte gezielt und agierte stellenweise mit dramatischem Zugriff, so im Schlussensemble mit den beiden ekstatischen, Isoldes Liebestod vorwegnehmenden chromatischen Steigerungen.

Gabor Halasz

© Opernwelt, 2004

Review originally published in the June 2004 issue of Opernwelt. Text reproduced by permission.


(Page last updated: 16-Jun-2004) 
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